Zum Leben und Wirken des Künstlers Hubert Rüther

In einer feierlichen Vesper am 5. Februar übergab die Ostsächsische Sparkassenstiftung unserer Pfarrgemeinde eine großzügige Spende, die die Restaurierung der alten Kirchenfenster von "St. Mariä Himmelfahrt" ermöglicht. 1933 erhielt der Künstler Hubert Rüther den Auftrag zum Entwurf der Fenster. Schon wenig später von einem Berufsverbot der Nationalsozialisten belegt, bleiben die Kirchenfenster für die Wittichenauer Pfarrkirche Rüthers bedeutendste Werke. Dr. Jürgen Heidan ist dem bewegten Leben Hubert Rüthers nachgegangen. In seinem Vortrag in der Vesper Anfang Februar stellte er den katholischen Diasporakünstler vor.

Dr. Jürgen Heidan bei seinem Vortrag zum Kunstmaler Hubert Rüther

Wenn wir uns heute hier in großer Freude und zugleich Vorfreude versammeln, ist dies einer von diesen Tagen, wo sich Kreise schließen, von denen man am Beginn nicht weiß, wie groß sie sind und ob sie sich am Ende auch tatsächlich schließen. Kreise, in denen sich vermeintliche Zufälle aneinanderreihen, die wir aber gern als Fügungen nach Gottes Plan auffassen.

War es Zufall oder Fügung, dass, als vor etwa acht Jahren die ersten Gedanken zur Sanierung unserer Pfarrkirche reiften, nicht klar war, was mit unseren Kirchenfenstern geschehen sollte. Dass sie erneuert und auch wieder gestaltet hergerichtet werden sollten, war unstrittig. Gleichwohl wurde das Thema Fenster nie näher beleuchtet. Bis zum Beginn der Außenputzarbeiten blieb dies so und wir haben die Fassaden „um die Fenster herum“ saniert, immer in dem Wissen, dass mit den Fenstern noch etwas geschehen muss und wird.

War es Zufall oder Fügung, dass im Januar 2009 in Wittichenau ein Anruf der Kunstgalerie Königstraße aus Dresden einging, in dem der Galerist informierte, dass eine Auswahl von Aquarell-Entwürfen des Künstlers Hubert Rüther aus den Jahren 1931/32 für die Wittichenauer Kirchenfenster in seinem Bestand verfügbar wären.

Zugegeben war bis dahin der Name des Künstlers hier eher weniger bekannt, obwohl aufmerksame Betrachter der beiden letzten verbliebenen Fenster wissen, dass in der Fußleiste des Herz-Jesu-Fensters steht: „Entwurf und Ausführung: Hubert Rüther, Dresden“. Vom Galeristen Pfeifer erhielten wir auch den ersten Hinweis, dass Hubert Rüther heute als einer der bekannten Künstler auf dem Gebiet der Malerei im Dresden der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt.

Einer musste aber den Wert der Fenster bereits eher erkannt haben:

War es Zufall oder Fügung, dass unser verehrter, viel zu früh verstorbener, Pfarrer Christoph Bockisch vor seiner Erkrankung 1999, vielleicht auch angeregt aus seiner Tätigkeit im Kuratorium der 1. Sächsischen Landesausstellung im Kloster St. Marienstern, die eingelagerten Fenster nach Dresden in die Kunstglaserei Dunger bringen ließ, um diese zu sichern und zu dokumentieren. Ganz bewusst hatte er den Bestand der Firma anvertraut, die als Nachfolgerin des ursprünglichen Herstellungsbetriebes Beier & Walther auch deren Erbe verwaltete.

Zuvor hatte Pfarrer Bockisch bereits die Ausbesserung der beiden verbliebenen Fenster „Herz Jesu“ und „Herz Mariä“ veranlasst und uns damit gezeigt, in welcher Farbenpracht und Ausdrucksstärke die Fenster einst erstrahlten. Alle anderen Fenster waren ca. 1970 ausgebaut worden.

Die sich puzzle-haft zusammenfügenden Informationen zum Künstler Rüther und zu unseren Fenstern weckten immer stärkeres Interesse und waren Anlass, sich für Hubert Rüthers bewegte und bewegende Biografie zu interessieren.

1886 in Dresden geboren, gelangte er über den klassischen Weg des Dekorationsmalers zur Kunst. Nach der Ausbildung an der königlichen Zeichenschule besuchte er ab 1908 die Kunstgewerbeschule, der sich 1911 ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste Dresden anschloss.

Den 1. Weltkrieg erlebte Rüther als freiwilliger Krankenpfleger in Nordfrankreich.

Nach Kriegsende setzte er seine Studien fort, war Kommilitone von Otto Dix und arbeitete schließlich im Atelier Professor Gußmann, einem Meister der Glasgemäldekunst. In dieser Zeit lernte der Katholik Rüther seine spätere Frau, die Jüdin Irena Rabinowicz kennen, die übrigens als erste Frau an der Dresdner Akademie studierte.

Die Schaffensperiode ab 1919 war bei Hubert Rüther der beginnenden Zeit des Expressionismus verpflichtet.

Die Fronterlebnisse reflektierte Rüther in zahlreichen Zeichnungen und Aquarellen.

Kritisch setzte er sich mit dem erstarkenden Nationalsozialismus auseinander und stellte in einigen seiner Bilder die Nazigrößen an den Pranger.

Christliche Motive, wie z. B. Kreuzwegstationen und ein Ölgemälde mit dem Titel „Kreuzigung“ zeigten immer wieder auch seinen Bezug zum Glauben, aber auch das erlebte Leid.

Den Höhepunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit christlichen Themen und Glaubensgeheimnissen aber bildete 1933 der Auftrag zum Entwurf und zur Herstellung der Fenster für unsere Kirche, die in seiner Vita immer wieder als „eine geschlossene Folge von Glasgemälden für die spätgotische Kirche von Wittichenau in der Lausitz“ hervorgehoben werden.

Es ist überliefert, dass dieser Auftrag ihm und seiner Familie ein leidliches Auskommen in der folgenden schweren Zeit sicherte.

Nicht zuletzt wegen seines Festhaltens an der Ehe mit seiner jüdischen Frau erreichte ihn 1934 die Untersagung der Berufsausübung als Maler und Grafiker. Hausdurchsuchungen und Repressalien waren nun die Folge. 1944 erfolgte die Einsetzung zur Zwangsarbeit als Metallarbeiter, um die Hände für weitere künstlerische Tätigkeit unbrauchbar zu machen.

All diese Schikanen brachen Hubert Rüther. Nach 12 Jahren seelischen Leidens, Demütigungen und Enttäuschungen wählte Hubert Rüther am 16. September 1945 den Freitod.

Danach schienen er und sein künstlerisches Werk in Vergessenheit zu geraten.

Jedoch bereits in der späten DDR haben 1986 engagierte Kunstkenner wie die Herren Fischer und Günter im Haus der Heimat Freital eine Ausstellung zu Hubert Rüther erstellt.

Heute werden seine Werke auch im Kunstmuseum Solingen, sowie in der Sammlung von Dr. Gerhard Schneider, dem Vorsitzenden des Zentrums für verfemte Künste Solingen bewahrt. Den Genannten herzlichen Dank für die Unterstützung beim Befassen mit der Thematik.

Die Beauftragung von Hubert Rüther hatte übrigens der Architekt der 1933 begonnenen Umbauarbeiten unserer Kirche, Robert Witte aus Dresden, vermittelt.

In einem uns vorliegenden Schreiben Wittes an das Generalvikariat vom 26.08.1933 schreibt er:

Der Auftrag für die Fenster wurde einem Katholischen Diasporakünstler erteilt, und zwar

  1. weil er das künstlerische und technische Können und die notwendige Erfahrung besitzt,
  2. weil Wittichenau von Dresden aus mit dem Auto in einer 3/4 Stunde erreichbar ist, und
  3. weil die Diasporakünstler durch die Verhältnisse in einer Not sind, gegen die angekämpft werden muss.

Der ebenfalls erhaltene Briefwechsel mit dem damaligen Wittichenauer Pfarrer Krahl zeigt, dass damals alle drei: Pfarrer Krahl, Architekt Witte und der Künstler Hubert Rüther in sehr engem, teilweise auch kontroversen Dialog sowohl das künstlerische Gesamtkonzept, als auch kleinste Details gemeinsam von der Konzeptidee zur Ausführungsreife gebracht haben.

Und so entstand ein Glasgemäldezyklus, der aufgrund so mancher Besonderheit überaus hervorzuheben ist. Bemerkenswert ist die Auswahl der Farbgläser, die mit Lot in grünlich und grauschwarz behandelt sind, wobei der Brand so gut ausgeführt war, dass sich das Lot fest mit der Glasoberfläche verbunden hat. Damit wurde bei den relativ hellen und lichtdurchlässigen Gläsern erreicht, dass einerseits mildes Licht eindringen kann und andererseits die gewollte Farbigkeit erlebbar bleibt. Mit Konturstrichen und der feinstrichigen Bemalung, die Hubert Rüther eigenhändig ausgeführt hat, ist die Handschrift des Künstlers gegenständlich verewigt.

Interessant ist auch, dass jedes Maßwerk im Stich mit einem anderen geometrischen Abschluss bekrönt wird, der symbolisch nach den Fenstern gestaltet wurde.

In den Fenstern an den Seiten des Kirchenschiffes wurden Motive aus den Gebetsanrufungen der Lauretanischen Litanei künstlerisch interpretiert, die heute noch nicht nur von eifrigen Betern in den Andachten, sondern auch von den Osterreitern auf ihrem Heimweg gebetet wird.

Die einzelnen Fenster waren wie folgt angeordnet:

über der 1. Kreuzwegstation:
„Du geheimnisvolle Rose“ auch „Rosa mystica“ genannt.
Die regenbogenartige Farbgebung im Maßwerk weist auf Maria als Mittlerin zwischen Himmel und Erde hin.

über der ehemaligen Taufkapelle
„Du Pforte des Himmels“ auch „Janua coeli“ genannt.
Das hier strenge Maßwerk soll auf die wohl erkennbare göttliche Ordnung hinweisen.
rechts:
„Du goldener Schrein“ als Bundeslade ist leider als Öffnung zurzeit nicht erkennbar, da dort ehemals der Zugang zum Dörgenhausener Chor eingebaut worden war.

über dem Beichtstuhl:
„Du starker Turm Davids“
Die oberen Ornamente sind Sinnbilder der irdischen und überirdischen Welt.

und hier vorn:
„Du Morgenstern“
Dieses Fenster in der besonderen Gestaltung eines milchstraßenähnlichen Sternbildes ist in seiner expressionistischen Aussagekraft und Farbigkeit eigentlich der Höhepunkt des Zyklus': Seine Sinndeutung: Wie der Morgenstern überstrahlt Maria alle Geschöpfe.
Das dreiteilige Maßwerk in der gleichen Art der Strahlen symbolisiert den einen Gott in drei Personen.

Den Übergang zum Altarraum bilden jeweils wieder Glasgemälde mit figürlichen Darstellungen: Über dem Krippenaltar das Elisabethfenster und über dem Rosenkranzaltar das Josephfenster.

Wir sind froh und glücklich, dass nach dem Ausbau um 1970 ein Teil der Fenster nach sachgerechter Einlagerung erhalten ist und dass für die verschollenen Fenster Fotos und Originalentwürfe als Grundlage für eine Rekonstruktion verfügbar sind.

Beides: Das Wissen, dass die ausgebauten Fenster weitgehend erhalten sind, und die Information, dass heute Hubert Rüther als Künstler des Expressionismus im frühen 20. Jahrhundert einen geachteten Namen hat, weckten im Kirchenvorstand sehr schnell den Wunsch, die Fenster zu restaurieren und wieder in unser Gotteshaus einzubauen.

Dass wir in vielen Gesprächen und aus der einsetzenden Spendenbereitschaft erfahren durften, dass auch die Gemeinde diesen Wunsch trägt, liegt sicher auch daran, dass die Anrufung der Gottesmutter in den Anliegen unserer Familien, unserer zweisprachigen Gemeinde und unserer Stadt heute ein genauso großes Herzensbedürfnis ist, wie in der Zeit der Entstehung dieser Kunstwerke.

Trotzdem stellte die Verwirklichung des Wunsches zur Restaurierung für den Kirchenvorstand in Anbetracht des Gesamtvolumens von 150.000 Euro ein fast unerreichbares Ziel dar.

War es Zufall, oder war es Fügung, dass es vor ca. zwei Jahren einen Kontakt zur Ostdeutschen Sparkassenstiftung und zur Ostsächsischen Sparkasse gab, die uns bereits bei der Sanierung des Flügelaltars in Dörgenhausen großzügig unterstützt hatte. Bei einem ersten Treffen am 5. August 2009 hatten wir Gelegenheit, unser Vorhaben vorzustellen und wurden ermutigt, einen entsprechenden Förderantrag einzureichen.

Wir sind froh und glücklich, dass mit dem heutigen Ereignis die Verwirklichung unseres großen Vorhabens in greifbare Nähe rücken kann.

Wir sind stolz, Werke des inzwischen bekannten Künstlers Hubert Rüther zu besitzen, damit wieder unser Gotteshaus schmücken zu können und somit diese bedeutenden Werke der Farbglasmalerei den Kunstinteressierten zeigen zu dürfen.

Mindestens genauso wichtig ist es uns aber, mit den Motiven auch wieder unserem Glauben und unserer Hoffnung Ausdruck geben zu können.

Man kann es nicht schöner formulieren, als es Pfarrer Krahl in der gelben Erinnerungsbroschüre von 1934 ausgedrückt hat, woraus ich abschließend zitieren möchte:

So haben Kunstmaler Rüther als künstlerisch geistiger Schöpfer sowie die Firma Beier und Walther unserer Kirche einen durch Formen- und Farbenschönheit prächtigen Schmuck verliehen. Generationen dürfte dieses Kunstwerk zu tiefinniger Freude gereichen, alle Wohltäter und Förderer aber auch das erhebende Bewusstsein beglücken, zur Vermehrung der Ehre Gottes beigetragen zu haben.