In Gottes Namen wallen wir...

Zum Hintergrund der Kreuzreiter-Prozession
Gedanken von Pfarrer Christoph Bockisch (Pfarrer in Wittichenau von 1996-2002)

Der Schlüssel zum Sinn

Die Zahl der Gäste, die am Ostersonntag nach Wittichenau kommen, ist mit der steigenden Motorisierung stark angewachsen. Die Tageszeitungen verweisen neben anderen Tips zur Freizeitgestaltung auch auf das Osterreiten in den Kreisen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda. Mit Verkehrseinschränkungen sei zeitweilig zu rechnen. "Eingeweihte" wissen: am meisten ist in Wittichenau los! Das muss man gesehen haben!

Ein Umzug mit mehreren hundert Pferden, die Reiter in Kostümierung, die Stadt festlich geschmückt - wo gibt es Vergleichbares? So mag manch einer denken, der sich am Ostersonntag auf den Weg in diese Stadt begibt. Wird ihn jemand eines besseren belehren?

Der Schlüssel für den eigentlichen Grund, warum diese Prozession nach 450 Jahren immer noch und trotz aller Widerstände lebendig ist, liegt im Dunkel der Osternacht.

Die festliche Feier der Auferstehung des Herrn ist an ihr Ende gelangt, da kommen einige Vertreter der Gemeinde zum Altar, unter ihnen der Kreuzträger der Kreuzreiterprozession. Der Pfarrer übergibt ihm das Tragekreuz, geschmückt mit einer weißen Stola. Die Gruppe geht los, sie eilt singend und betend durch die Straßen der Stadt, mit dem Osterlicht, mit einer Glocke. Die Schläfer sollen aufwachen und es hören: Dzens Chrystus z mortwych stanyl je! Halleluja! Christus ist auferstanden! Halleluja! Es gibt Hoffnung, Halleluja, preist unsern Gott!

Kaum sind die letzten Leute aus der Kirche, kommt die Gruppe schon wieder, außer Atem vom Laufen und Tragen und Singen. Sie gibt das Kreuz zurück - haltet es mal, wir müssen noch andere alarmieren, wachrütteln. Wir kommen gleich wieder!

Gleich - das ist im Morgengrauen um 5:00 Uhr, wenn die Reiter und ihre Angehörigen zur Kreuzreitermesse die Kirche (über-)füllen. Diese Eucharistiefeier steht zwar unter Zeitdruck, doch muss soviel Zeit bleiben, dass von ihr der ganze Tag getragen wird. Wieder wird die Botschaft verkündet: "Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden!" Nach gutem Brauch halten alle, die dazu bereit sind, miteinander und mit dem Herrn das Mahl. Sie feiern, was das alte Wittichenauer Osterlied in kurzen Sätzen zusammenfasst:

"Betrübt zwei Männer nach Emmaus gehn
Ein Wandrer lehrt sie die Schrift verstehn.
Am Wege ihre Herzen brannten.
Beim Mahl sie dann den Herrn erkannten.
Drum singet alle: Halleluja!
Triumph! Triumph in gloria!"

Noch einmal geht es nach Hause, die Pferde holen! Die Nachbarn müssen es hören, die gute Nachricht muss mitgeteilt werden, auch Ralbitz die Nachbargemeinde "in Sachsen oben", hat ein Anrecht darauf. Die Botschaft "bekommt Beine", weil sie schnelle Verbreitung braucht. Pferde sind schneller als Menschen, ein "reitender Bote" erweckt mehr Aufmerksamkeit als ein müder Fußgänger.

Die Pferde sind geschmückt, die Reiter im festlichen Schwarz, was sie sehr würdig erscheinen lässt, selbst den Schüler 9. Schuljahr mit der Knabenstimme. Und der Zylinderhut ist auch nicht gerade eine alltägliche Kopfbedeckung!

So versammeln sich die Reiter mit ihren Pferden aus allen Richtungen auf der Kirchstraße und den umliegenden Straßen in gefährlich gedrängter Enge, während in der Kirche das Hochamt gehalten wird.

Der Dienstauftrag

Wer auf Dienstreise geht und fährt, erhält meist einen Dienstauftrag, der Ziel und Zweck seiner Fahrt festhält. Die Prozession von Wittichenau nach Ralbitz ist weder österlicher Spazierritt noch Morgensport. Er ist Dienst! Das Weihwasser, mit dem Reiter und Pferde besprengt werden, ist dafür ein sichtbares Zeichen. Es erinnert an die Taufe, durch die wir mit Christus zum neuen Leben gekommen sind und die uns zu "Priestern, Propheten und Königen" gemacht hat.

Drei Berufe, die nur in Hinblick auf andere einen Sinn haben. Der Priester, der stellvertretend für andere vor Gott tritt, ihn lobt und mit Bitten bestürmt; der Prophet, der Gottes Wort seinen Mitmenschen verdeutlichen soll; der König, dessen wichtigste Aufgabe die Sorge für die ihm anvertrauten Menschen sein muss. Der Kreuzreiter wird in den Dienst genommen für die Welt und Menschen in ihr. Es ist dieselbe Menschheit, für die Christus sein Leben hingegeben hat.

Einer der Männer bekommt vom Zelebranten des Hochamtes den "Dienstreiseauftrag" überreicht - das Kreuz mit der Stola, die schräg über dem Kreuzbalken und der Schulter des Gekreuzigten hängt wie bei einem Diakon. Sind es praktische Gründe, die dazu geführt haben? Oder steckt ein tieferer Sinn dahinter. Wie dem auch sei: der Auftrag ist klar! Markiert durch den Silberschild und seine Begleitung zeigt der Kreuzträger, was seit fast zwei Jahrtausenden die Mitte des christlichen Glaubens ist. "Reitet nach Ralbitz, reitet über die Straßen dieser Welt und aller Zeiten, und sagt weiter, was Eure Überzeugung ist: der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus ist das Heil der Welt. Seid Zeugen dafür."

Karneval und Ostern

Einmal habe ich darüber nachgedacht, ob es wohl einen Zusammenhang gibt zwischen den beiden Höhepunkten des Jahres, die viele Fremde in diese Stadt zieht. Was passiert an Karneval? Auf eine einfache Formel gebracht: das Große und Mächtige dieser Welt wird verspottet, zur Karikatur gemacht, in den Schmutz gezogen. Karneval feiernde Christen betreiben dieses Geschäft mit einem gläubigen Hintersinn. Sie wissen um die Vergänglichkeit des Menschen. "Bedenke Mensch, dass du bist Staub, und zum Staub kehrst du zurück!" Gott allein bleibt. Er ist der Erste und Letzte der Lebendigen. Nur die Umkehr zu ihm und seinem lebenschaffenden Wort kann die Sehnsucht des Menschen erfüllen, für immer zu bleiben. Aber von Anfang an ist so etwas wie ein Grundfehler in uns Menschen. Wir streben nach der Macht und versuchen sie mit aller Gewalt festzuhalten. Geld und Beziehungen, Muskelkraft und Gewehre, Kronen und Zylinder, edle Rosse und große Autos können dafür sichtbare Zeichen sein.

Eigentlich will der Karneval das alles demontieren, aber auch dabei geht es recht menschlich zu! Manch einer vergisst, dass er eine Narrenkappe und keine Ersatzkrone trägt!

Und Ostern? Hier geschieht genau das Entgegengesetzte! In der Mitte der Prozession wird der nackte, zerschundene, zum "letzten Dreck der Welt" gewordene Jesus getragen. Er hat nichts mehr in den Händen außer den Nägeln, die ihm am Kreuz festhalten. Obwohl er in der Herrlichkeit Gottes alles hatte, hielt er nichts fest.

Er wurde ein Mensch wie wir, er erlebte am eigenen Leib unsere Versuchung, durch "Macht - Ergreifung" das Glück zu erzwingen, über andere zu herrschen und sie dabei zu erniedrigen. Aber er gab dieser Versuchung nicht nach und wagte die "Karriere von unten", wurde der Letzte von allen, Sklave, Diener, Diakon. Am Abend vor seinem Leiden wäscht er sogar seinen Jüngern die Füße ( - nicht die Köpfe).

Seine arglose Liebe, die keinen ausschließt, wird nicht gelohnt. Am Ende "legt man ihn aufs Kreuz". Schließlich wird er am Kreuzbalken "hochgezogen". Da kann man sehen, wo so etwas hinführt! Tot, aus! Es hat keinen Sinn, in dieser Welt so zu leben. Man muss eben mit den Wölfen heulen. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Ich muss schließlich sehen, wo ich bleiben kann. Was interessiert mich der Mensch neben mir?

Mit der Auferstehung hat Gott selbst gezeigt, welcher Weg allein zum Leben führt. Er hat seinen Sohn nicht im Tod gelassen, sondern ihn von den Toten auferweckt, ihn zum "Herrn und Christus erhöht". Die weiße Stola zeigt das neue, nicht mehr zerstörbare Leben an. Was die Propheten des Alten Testaments - unter ihnen besonders Jesaja - über den Messias verkündet haben, ist nun auf unfassbare Weise verwirklicht.

Der von allen Ausgestoßene hat stellvertretend für alle Schuld gebüßt, obwohl er selbst kein Unrecht getan hat. "Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich", sagt Gott durch den Propheten.

Und die Reiter singen:

Nun ist erfüllet, nun ist vollbracht,
was uns Jesaias geweissagt hat:
dass Christus aus dem Grab wird gehen
und von den Toten auferstehen.
Drum singet alle: Halleluja!
Triumph! Triumph in gloria!

 

Quelle: Wittichenauer Wochenblatt vom 16. April 1992