Die Kreuzreiter-Prozession ist kein weltlicher Aufzug, sondern vielmehr ein öffentliches Bekenntnis des Glaubens, ein Bild religiöser Einheit und nachbarlicher Freundschaft. Mit dem Kreuzreiten sind ferner sagenhafte Volksüberlieferungen verknüpft. Die Prozession soll niemals, selbst in den allerschlechtesten Zeiten unterblieben sein.
Während des furchtbaren Dreißigjährigen Krieges wurde auch die Gemeinde Wittichenau, die damals größer gewesen sein soll als heute, arg mitgenommen. Einst zur Osterzeit, so berichtet eine alte, früher in Saalau befindliche handschriftliche Chronik, lagerten gerade Schweden in Wittichenau. Infolge der vielen Plünderungen verarmt, besaß die einst blühende Gemeinde nur noch fünf Pferde, mit denen man betrübt die Prozession unternahm. Der Führer der Schweden ließ den sonderbaren Aufzug anhalten. Über Zweck und Sinn befragt, ergriffen von dem Mut und der Treue, mit denen man an der alten frommen Sitte festhielt, stellte er selbst eine Anzahl seiner besten Pferde zur Verfügung und gewann dadurch die Herzen der Gemeindemitglieder.
Auch im ersten Weltkrieg sollte die Prozession eingehen. Da traten mehrere einflussreiche Personen für die weitere Fortführung kräftig ein. Mehrere Kriegsjahre hindurch mussten dann freilich die Reiter für ihr Pferd die Haferration selbst mit sich führen.
Bis zum Jahr 1540 zogen die Wittichenauer Kreuzreiter über Keula, Dörgenhausen und Klein-Neida nach Hoyerswerda zum Gottesdienst, die Hoyerswerdaer aber über Groß-Neida, Keula nach Wittichenau. Die Reformation errichtete zwischen diesem nachbarlichen Austausch der religiösen Empfindungen eine Scheidelinie. Seit 1541 begibt sich die Wittichenauer Prozession nach Ralbitz, die Ralbitzer kommen nach Wittichenau.
Als am ersten Osterfeiertag des Jahres 1530 die Wittichenauer Kreuzreiter nach Hoyerswerda zogen, verlor einer mündlichen Überlieferung zufolge, im Keulaer Wald bei einem hölzernen Bildstock das Pferd des Kreuzträgers das Glöckchen, das diesem früher immer mit einem Lederriemchen am Hals befestigt war. 10 Jahre später, am 9. April 1540 bei der Rückkehr der Wittichenauer Prozession von Hoyerswerda blieb das Pferd des Kreuzträgers plötzlich stehen, stampfte mit dem Huf den Erdboden auf und brachte das verlorene Glöckchen wieder ans Tageslicht.
Die evangelische Religion hatte Ostern 1540 in Hoyerswerda schon im Geheimen viele Anhänger. Kaum ein Vierteljahr später, am Fest Johannes des Täufers, wurde bereits in der dortigen Pfarrkirche die erste evangelische Predigt gehalten.
Die Aufnahme der Wittichenauer Prozession war daher in diesem Jahr nicht so gastfreundlich wie früher. Die Teilnehmer sollen sogar bei vielen Hoyerswerdaer Hauswirten die Türen verschlossen vorgefunden haben.
Infolge längerer Regenzeit waren die Wege in einem erbärmlichen Zustand. Notgedrungen musste daher der Wittichenauer Reiterzug auf dem Heimweg bei Hoyerswerda über ein Grundstück mit Winterweizen reiten. Der Besitzer, ein Hoyerswerdaer Bürger, erhob deshalb gegen die Wittichenauer Kirchgemeinde Klage und forderte Schadenersatz. Diese zahlte gutwillig den geforderten hohen Betrag, behielt sich aber den Ertrag auf dem von Pferden zertretenen Teilen des Ackers vor.
Auf wunderbare Weise entwickelte sich der Weizen auf dem Wittichenauer Anteil besonders üppig. Zur Zeit der Ernte brachte der Weizen mehr als doppelt höheren Ertrag als sonst üblich, das große nebenan liegende Weizenland des Hoyerswerdaer Bürgers dagegen war nicht des Abmähens wert.
Quelle: Aus einem Bericht von H. A. Schömmel, etwa 1927, redaktionell bearbeitet, veröffentlicht im Wittichenauer Wochenblatt, April 1990