"Die Pfarrgemeinde hat einen gläsernen Schatz gehoben"

Sie sind wieder da! Hubert Rüthers Glasgemälde von 1933/34 sind an alter Stelle wieder in das Kirchenschiff der Wittichenauer Pfarrkirche eingesetzt worden. In einem Festakt feierten die Wittichenauer gemeinsam mit vielen Ehrengästen die Einweihung der wiedergewonnenen Kostbarkeiten. Den Festvortrag hielt der Kunsthistoriker Holger Fischer aus Freital. Er kannte Rüthers Frau persönlich. In seinem Vortrag berichtete er von einem traurigen Besuch mit Irena Rüther-Rabinowicz in Wittichenau und richtete einen Appell an die Wittichenauer.
 

Sehr geehrte Ehrengäste, liebe Wittichenauer aus Stadt und Land,
 

am 05.02.2011, anlässlich der feierlichen Vesper, sprach von dieser Stelle Herr Dr. Heidan ausführlich über den Künstler Hubert Rüther, Autor der hiesigen Glasgemälde. Sein Vortrag stand besonders unter der großen Vorfreude, dass 18 Glasgemälde wieder ihren angestammten Platz erhalten.

Finanziell abgesichert durch einen förderlichen Geldbetrag der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, Ostsächsische Sparkasse, sowie durch eine hohe Spendenbeteiligung der Pfarrgemeindemitglieder.

Nach 42- jähriger Abwesenheit der 18 Glasgemälde können wir sie, die Ehrengäste und die Pfarrgemeindemitglieder, wieder als geschlossene Folge in uns aufnehmen.
Realisiert wurde das Vorhaben in so kurzer Zeit, dass Zweifler plötzlich aufhorchten. Geld ist heute alles und doch nicht. Ohne einen so engagierten Kirchenvorstand und den kunsthistorisch Wissenden, ehrenamtlich „strippenziehenden" Dr. Heidan, wäre der heutige freudige Tag gewiss noch in der „Ferne".

Seit über 35 Jahren befasse ich mich mit der Vita des Künstler-Ehepaares Rüther und kann z. Z. dem keine neuen Erkenntnisse hinzufügen. Aus diesem Grund möchte ich den Versuch unternehmen Ihnen einige Hintergrundgeschehnisse zu erzählen.

An einem feierlich-festlichen Tag wie heute, sollte auch ein Augenblick des sich Erinnerns möglich sein. Das sich Erinnern bringt nicht immer Positives, Glattes, der Wahrheit dienend, zum Vorschein. Vor allem wenn die Vita zwei Diktatoren erfahren musste.

1975 besuchte die Künstlerin Frau Rüther, mit mir von Dresden kommend, die Pfarrkirche St. Maria Himmelfahrt in Wittichenau. Ihr Wunsch war noch einmal die Glasgemäldefenster, die ihr Mann geschaffen hatte, zu „erleben". Sie hatte an diesem Kunstwerk mitgewirkt. - Der Blick! - „Nackte Glasfenster" bis auf zwei. - Betretenes Schweigen. Das Stehen fiel schwer. - Platz nehmen. - Ruhe! Die zwei verbliebenen Fenster "Herz Jesu" und "Herz Mariä" leuchteten und verkündeten: Wir sind noch da!

In dieser fast unheimlichen Stille, kam mir die Erinnerung, also auch hier.

In Meißen verschwand aus der ehemaligen Fürstenschule um 1954 ein für die sächsische Geschichte höchst bedeutsamer Bilderzyklus. Gemalt von einem katholischen Künstler, Prof. Ferdinand Pauwels. Bis zum heutigen Tag sind die Gemälde verschollen.

- Das Zu-sich-kommen: Die Künstlerin begriff. Es fiel ihr schwer. Betroffene reden über Vergangenes kaum. Frühere Täter werden im Laufe der Zeit "Widerständler".

Sie sprach, durch das Entfernen der Werke ihres Mannes, von einer zweiten Enteignung.
1945 musste sie durch einen zugestellten Bescheid die Lebensmittelkarte abmelden, Essgeschirr, Decke und Hygieneartikel zum Stellplatz mitbringen. Der Bombenangriff am 13.02.1945 auf Dresden verhinderte ihre Deportation.

Aber, so sagte sie, hier geht es nicht um mich. Gedenken wir „Bärtschl", so nannte sie ihren Mann in besonderen Augenblicken. Das sprechen fiel ihr nun schon leichter. Hubert war von Haus aus katholisch erzogen. Er hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, was ihm nicht immer zum Guten gereichte.

So erzählte sie ein Vorkommnis an der Dresdener Akademie. Ich möchte hier nicht ihre Worte wiedergeben. Ein Kommilitone von Rüther, Georg Grosz, hat nach seiner Ausreise aus Deutschland das Buch "Ein kleines Ja und ein großes Nein" in Amerika geschrieben. In Erinnerung an seine Studienzeit, schreibt er über seinen Professor: „Müller war wohl ein wenig sadistisch veranlagt und gab deshalb - oder weil er von sich selbst sehr viel verlangte - den Modellen oft die schwierigsten Posen."

Es wurde auch alles sorgfältig mit Kreidestrichen markiert und mit dem Zentimetermaß nachgemessen, damit am nächsten Tag die Pose bis auf den Millimeter genau dieselbe sei. Modelle standen drei Wochen in der gleichen Stellung. Von heute aus betrachtet, war es eine Donquittotterie - und doch konnte man damals oft nicht einschlafen vor Gram über die verzeichneten Verhältnisse und den Tadel das Kunstprofessors.

Ein kühner Witzbold namens Hubert Rüther machte sich ein einziges Mal den Spaß, Kreidemarkierungen nach Klassenende unbeobachtet und ziemlich willkürlich zu ändern. Als am folgenden Tag das Modellausrichten begann, wunderte sich jeder, was da über Nacht passiert war.
Wir begriffen sofort. Müller begriff auch. Er sagte kein Wort, stellte von da an so schwierig ausgeklügelte Posen nur noch für sich in seinem Privatatelier. Soweit Georg Grosz, inzwischen ein großer Maler-Name.

Im Mai 1932 wurde der katholische Kunst-Kreis gegründet. Er schloss katholische Künstler und Kunstfreunde zusammen mit dem Zweck, Kunst und Kultur zu pflegen und katholische Künstler wirtschaftlich zu unterstützen. Der Kunst-Kreis vermittelte Rüther den Auftrag 1933, den Entwurf der Glasgemälde für die spätgotische Kirche in Wittichenau anzufertigen. Ältere von Ihnen werden sich noch persönlich an den Pfarrer Krahl erinnern, zumindest vom Hörensagen. Er stand die erste Zeit wie ein Kunst-Feldwebel neben Rüther und zwischen beiden war fast eine kühle Stimmung. Erst recht, als Rüther Honorar einforderte, da er nichts zu verschenken und Frau und Kind zu ernähren hätte. Das Geld kam nicht, aber ein schriftlicher Ratschlag: „Ora et Labora". Vielleicht hat Pfarrer Krahl damit an die dem Künstler nicht immer eigene Pünktlichkeit erinnert.

Doch mit der Zeit änderte sich dieses Verhalten zwischen beiden und ihr gegenseitiger Humor war kaum zu übertreffen. Ohne Reibung der Kenner und Könner wäre so ein inhaltsvolles Kunstwerk nicht zustande gekommen.

Pfarrer Krahl gab viele Gedanken und Namen vor, wie die Familie Konstantin Schulz oder B. Jakubetz. Er korrigierte auch, als der Künstler anstatt Anna Mork, Anna Mark geschrieben hatte. Nein - schrieb er, nicht Mark - Mork! Mark wäre ein kapitaler Fehler.

1934, Rüther arbeitete in der Kirche in Wittichenau, kam es zu einer Hausdurchsuchung. Die Gestapo nahm Gegenstände aus Rüthers Besitz mit. Der Katholik Rüther hatte die Stirn, sich beim Chef der Gestapo-Leitstelle zu beschweren.

Im gleichen Jahr bekam der Künstler Berufsverbot. Er nahm den Malerkarren wieder auf, um Stuben vorzurichten. Andere Künstler verkauften in ihrer Not Kälberstricke. In den Abendstunden malte er. Es entstand unter anderem die „Spieler". Die Spieler sind um einen grün überzogenen Tisch versammelt. Viele der NS-Größen lassen sich identifizieren. Die Zukunft Deutschlands und der Welt ist der Einsatz, um den gespielt wurde. Rüther hatte die „Spieler" an die Rückseite seines Graphik-Schrankes befestigt. Heute ist das Werk in einem bekannten Museum.

Brot und Schutz waren für den Künstler nicht mehr vorhanden. Der katholische Kunstkreis wurde nach kurzer Arbeitsphase aufgelöst. Nach den neuesten Forschungen, besitzt die spätgotische Kirche in Wittichenau, den einzigen Glasgemälde-Zyklus in Deutschland, bestehend aus Figuren- und Symbol-Fenster, der in den Jahren 1933 und 34 von einem Künstler geschaffen wurde, den der NS-Staat verfolgte.
 
Die Entstehungsjahre der Glasgemälde 1933 und 34 weckten später, in der DDR, Begehrlichkeiten. Durch die Kunstdoktrin der SED wurden die Räte der Bezirke ermuntert, Beauftragte mit gezielten Instruktionen durch die Lande zu schicken. Ihnen standen Helfer zum "Einsammeln" von Kulturgut aus Schlössern, Herrenhäusern und Kirchen zur Seite. Durch den Verkauf der Kunstgegenstände erzielte man Devisen. Die entstandenen Lücken zum Beispiel bei farbigen Kirchenfenstern, versuchten sogenannte „Erneuerer" durch buntes Glas und „Zeitgemäße Ismen" zu schließen. Es war eine Zeit der „Bilderstürmerei".

Die Fügung wollte es, dass bei Aufräumarbeiten der Räume des Rates des Kreises um 1990 falsch abgelegte Schriftstücke in einem Schuhkarton gefunden wurden. Der Inhalt machte Zusammenhänge erfahrbar.

Ein gelernter Dekorationsmaler, er vollendete vor Kurzem das neunte Lebensjahrzehnt, sagt von sich, dass er ca. 500 Glasfenster und 63 Kirchenräume neugestaltet hat.

1990 hat er damit aufgehört! Auftrag erfüllt?

Die Pfarrgemeinde hat einen großen Schatz wieder gehoben. Einen gläsernen Schatz.

Heute, am 67. Todestag von Hubert Rüther, ist er nun komplett zu sehen. Generationen, um mit den Worten von Pfarrer Krahl zu sprechen, dürfte dieses Kunstwerk zu tiefinniger Freude gereichen, aller Wohltäter und Förderer aber auch das erhebende Bewusstsein beglücken, zur Vermehrung der Ehre Gottes beigetragen zu haben.

Bewahren Sie Ihren Schatz!