500 Jahre Fronleichnam in Wittichenau

Schon eine Inschrift auf dem heutigen Rosenkranzaltar von 1520 bezeugt die Feier des Fronleichnamsfestes in Wittichenau. 500 Jahre später wirft Pfarrer Dr. Křesák einen Blick in die Chronik und erinnert in seiner Predigt am Fronleichnamstag an die Ursprünge dieses Festes, das seit jeher mit besonderer Festlichkeit in Wittichenau begangen wird. Die Predigt ist hier dokumentiert und bietet den Gläubigen eine geschichtliche und theologische Vergewisserung über den Kern des Hochfestes des Leibes und Blutes Christi.

Als unsere Pfarrgemeinde 2016 den Rosenkranzaltar restaurieren ließ, entschied der Kirchenvorstand, auch die alte lateinische Inschrift wieder freizulegen. Bloß gut! Die ersten Worte, ins Deutsche übersetzt, erinnern: „Dieser Altar zuerst im Jahr 1520 errichtet vom H.H. Johann von Schleinitz (1518-1537), Bischof von Meißen, zur größeren Ehre Gottes und des allerheiligsten Leibes Christi, der allerheiligsten Gottesmutter...“ und dann folgen Namen von Heiligen, die von der Heiligenverehrung und Frömmigkeit unserer Gemeinde aus jener Zeit Zeugnis geben. Wir feiern, wenn wir so wollen, ununterbrochen mindestens „500 Jahre Fronleichnam in Wittichenau“! Davon zeugt diese Inschrift.

Freilich könnte ein Schüler, der im Religionsunterricht aufgepasst hat, oder jemand anderes einwenden: Erst 500 Jahre? Ist das Fronleichnamsfest nicht älter? Richtig, viel älter! Wir dürfen uns an die Wurzeln dieses Festes erinnern: Sie liegen in der anbetenden Verehrung des im Sakrament gegenwärtigen Herrn in der Frömmigkeit frommer Frauenkreise in Brabant, Flandern und der Wallonie zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Diese Zeit ist geprägt von dem Verlangen, mangelnde Anbetung durch gesteigerte Verehrung des Altarssakramentes auszugleichen. Die Einführung eines besonderen eucharistischen „Sakramentsfestes“ wurde veranlasst durch Visionen der Hl. Juliana von Lüttich (gestorben 1258), die sie etwa um das Jahr 1210 hatte: Eine ihr erscheinende Mondscheibe wies am Rand einen dunklen Fleck auf, was ihr dahingehend gedeutet wurde, dass der Kirche ein Fest fehle, das eigens die Gabe der hl. Eucharistie feiere.

Ein solches Fest ordnete – nach langem Zögern – der Lütticher Bischof Robert 1246 für seine Diözese an. Sein Versuch, dieses Fest über seine Diözese hinaus zu verbreiten, scheiterte kläglich. Als aber der Lütticher Archidiakon Jakob Pantaleon 1261 zum Papst gewählt wurde, der Juliana persönlich kannte, von ihren Visionen und ihren Bemühungen um ein solches Fest wusste, schrieb er 1264 als Papst Urban IV. ein mit einer Oktav zu feierndes Sakramentsfest für die ganze lateinische Kirche vor. Als Begründung gab er an: Widerlegung der Irrlehrer, Wiedergutmachung mangelnder Ehrfurcht und dankbare Erinnerung an die Einsetzung der Eucharistie

Fronleichnam wurde so das erste, durch einen Papst allgemein dekretierte Fest, jedoch zunächst eher selten gefeiert. Resonanz fand es schnell in Ungarn, wie auch in den neuen, von der mittelalterlichen Eucharistiefrömmigkeit geprägten Orden, etwa bei den Prämonstratensern (1264 Prag), Zisterziensern (1278 Heilbronn) und Dominikanern (1304), Karmeliten (1306). Erst unter den Nachfolgepäpsten Clemens V. und Johannes XXII. begann die Einführung des Fronleichnamsfestes auf diözesaner und nationaler Ebene. (Straßburg 1318, Polen 1320 u.a.m.). Die z.T. bis heute verwendeten Texte stammen hauptsächlich aus der Feder des Hl. Thomas von Aquin.

Die Ausbreitung des Fronleichnamsfestes wurde nicht zuletzt durch die sich mit diesem Fest verbindende Fronleichnamsprozession gefördert, die in der Folgezeit die Feier von Fronleichnam entscheidend prägte. Ursprünglich gehörte die Fronleichnamsprozession nicht zum Fest dazu. Anknüpfend jedoch an das „Eucharistiegeleit“ bei Versehgängen durch Ministranten, bei der Übertragung des Allerheiligsten am Gründonnerstag zum Ölberg, am Karfreitag zum Hl. Grab, an die sonn- und festtägliche Messeröffnungsprozession entstand der Brauch, das „höchste Gut“ zunächst in einer Pyxis, seit dem 14. Jahrhundert - dem Schauverlangen der Gläubigen entsprechend - sichtbar in einer Monstranz vor der Fronleichnamsmesse mitzutragen (Köln 1264, Benediktbeuren 1286, Hildesheim 1301, Quedlinburg 1317). Daraus entwickelten sich ausgedehnte Prozessionen von höchster Feierlichkeit mit Sängergruppen, Scholaren als „Geleitengel“, Instrumentalmusik, Fahnen, Zunftinsignien, mitgeführte Reliquien und Baldachin über dem Allerheiligsten.

Die Prozession knüpfte dabei an die im deutschen Sprachraum seit dem 15. Jahrhundert für die Volksfrömmigkeit besonders wichtigen Flurumgänge, den Bittprozessionen an, was zu den vier Stationen führte, bei denen die Anfänge der Evangelien gesungen, Fürbitten gehalten und der sakramentale Segen in die vier Himmelsrichtungen erteilt wurde (ähnl. Wettersegen, die viermaligen Prozessionen in Wittichenau erinnern auch heute noch an den alten Brauch). Um die Prozession sorgten sich Stadträte und Zünfte, vor allem Bäcker und Goldschmiede, Vereine, Kongregationen und Bruderschaften. Kostbare Monstranzen wurden gestiftet, auf Prunkwagen mitgeführt. Den Glanz der Prozessionen erhöhten „lebende Bilder“, woraus mancherorts großartige „Fronleichnamsspiele“ entstanden. Das Bildprogramm berücksichtigte dabei nicht nur die Eucharistie und deren alttestamentliche Vorbilder, sondern umfasste oft die gesamte Heilsgeschichte, angefangen vom Sündenfall bis hin zur Wiederkunft Christi. Welch faszinierendes Schauspiel!

Mit der Fronleichnamsprozession verband sich ab der Reformationszeit auch ein öffentlicher Bekenntnischarakter, um bei den Gegnern der katholischen Eucharistielehre eine entsprechende Wirkung zu erzielen. In der Barockzeit wird die Fronleichnamsprozession zum Triumphzug des von seinem Hofstaat geleiteten himmlischen Königs, dargestellt durch alle an der Prozession Teilnehmenden in festlicher Kleidung (nicht mit „Jeanshöschen“ und T-Shirt), mitgeführte Heiligenfiguren und Reliquien. Die Prozessionswege wurden mit Birken gesäumt, mit Blumen bestreut, mit Teppichen und Fahnen geziert als Ausdruck der Freude am „heiligen Besitz“. Zur Ehre Gottes gibt jeder das Allerbeste! (Erst 1955 wurde die sogenannte Fronleichnamsoktav abgeschafft. Unser Wittichenauer Fronleichnamssonntag sowie der „Gelobte Gottesdienst“ in Rachlau am Oktavtag von Fronleichnam erinnern an die ursprüngliche Oktav.)

Doch kommen wir zurück zum Jahr 1520. Was veranlasste die Wittichenauer, einen Fronleichnamsaltar zu stiften und ihn vom Bischof weihen zu lassen? Wir können es uns heute kaum vorstellen, was das bedeutete: Der Bischof kommt mit seinem Gefolge! Er nimmt „Kost und Logie“ in Wittichenau! Das haben sich die Wittichenauer einiges kosten lassen. Die ganze Stadt war in heller Aufregung und voller Begeisterung! Freilich, die Beweggründe dafür liegen im Dunkeln. Auf jeden Fall war das Errichten eines Fronleichnamsaltares ein Glaubenszeugnis der Wittichenauer für ihr treues Festhalten an der katholischen Eucharistielehre gegen die davon abweichende Auffassung Martin Luthers am Vorabend der Reformation.

Im Oktober 1517 hatte Luther seine „Thesen“ veröffentlicht. Ein Jahr später 1518 war Johann von Schleinitz, Bischof von Meißen geworden. Er war ein erbitterter Gegner Martin Luthers, verfasste 1520 auf der Burg Stolpen ein Mandat gegen Luther und ließ zusammen mit Herzog Georg von Sachsen, dem Bärtigen, Luthers Prediger in seinem Bistum verfolgen. Er war auch jener, der sich um die Heiligsprechung Bischof Bennos bemühte. Diese erfolgte dann 1523, weshalb der Name Bennos bei der Aufzählung der Heiligen auf unserer Altarinschrift von 1520 auch noch fehlt. Von Luther ist eine Streitschrift gegen die Heiligsprechung Bennos überliefert mit dem Titel: „Wider den Abgott und Teufel, der zu Meißen soll erhoben werden“.

Übrigens erinnert noch heute im Meißner Dom eine Grabplatte an den Meißner Bischof Johann VII. Vielleicht ist der Wittichenauer Fronleichnamsaltar gar auf Anraten des Meißner Bischofs entstanden, denkbar wäre es. So hatte z.B. ein Jahr zuvor (1519) Herzog Georg den Pfarrer von Krumhermsdorf (heute bei Neustadt/Sa.) bei Bischof Johann angezeigt, weil dieser sich selbst in der Karwoche so dem Alkohol hingegeben hatte, dass er am Vorabend des Osterfestes nicht in der Lage war, die Osterbeichten zu hören und diese am Ostersonntag nachholen musste. Dadurch zog sich die Messe dann bis weit nach Mittag hin und als man dann endlich zum Kommunionempfang schritt, erlitt ein Mädchen einen Schwächeanfall und erbrach zum Entsetzen der Gemeinde den Leib Christi. Daraufhin erließ Bischof Johann 1520 ein Verbot für die Geistlichkeit, Bier und Wein in geistlichen Häusern an irgendjemanden auszuschenken oder zu verkaufen. Wer sich nicht daran hielt, musste 20 Gulden Strafe zahlen. Auch andere Verfehlungen von Geistlichen zeigte Herzog Georg ebenfalls Bischof Johann an, so etwa zwei Altarristen aus Großenhain (Priester, die nur Gottesdienste an einem bestimmten Altar feiern, aber keine Seelsorgeaufgaben übernehmen oder Beichte hören durften) wegen „Jungfrauenschändung“. Sie bekannten im „Verhör“ sich „an Luther zu halten“, der die Abschaffung des Zölibats ebenfalls 1520 erstmals gefordert hatte. Die beiden Altarristen wurden „abgesetzt“. Aus vielen Klagen Herzog Georgs spricht die Empörung über die Folgen klerikaler Unzulänglichkeiten. Denn aus der Perspektive des Herzogs waren es vor allem die Gemeinden und damit ein Teil seiner Untertanen, die unter den Fehlern und Sünden der Geistlichkeit zu leiden hatten.

Bei der Errichtung unseres Fronleichnamsaltares könnten somit die alten Motive, die schon zur Einführung dieses Festes maßgebend waren, eine Rolle gespielt haben: Wiedergutmachung, mangelnde Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Altarssakramentes, Dank für die Heilige Eucharistie!

Bischof Johann VII. konnte die Reformation in seinem Bistum nicht aufhalten. Das 968 gegründete Bistum Meißen ging am 20. Oktober 1581 unter. Der letzte Bischof Johann IX. resignierte, verzichtete auf sein Amt, trat zum protestantischen Glauben über und heiratete seine erheblich jüngere Nichte. 1921 – im nächsten Jahr werden es 100 Jahre – wurde das Bistum Meißen wieder errichtet.

Noch heute beten wir - wie unsere Vorfahren seit 500 Jahren - mit dem Hl. Thomas von Aquin (gestorben 1274): „Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir. Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier“ und bitten für uns und alle nachfolgenden Generationen: „Allmächtiger Gott, gib uns die Gnade, die heiligen Geheimnisse deines Leibes und Blutes so zu verehren, dass uns die Frucht der Erlösung zuteil wird.“ Amen.

Pfarrer Dr. Wolfgang Křesák, Fronleichnam 2020

 

Hinweis: Die Fotos der Fronleichnamsprozessionen stammen aus zurückliegenden Jahren. In diesem Jahr feiern wir das Fronleichnamsfest unter den besonderen Gegebenheiten. Herzliche Einladung besteht zur Messe am Fronleichnamssonntag auf dem Sportplatz (9.00 Uhr) sowie zur Andacht (14.00 Uhr). Bitte beachten Sie die  Hinweise.

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